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Zwischen Zauber und Zeitgeist: Märchen als kulturelles Erbe und pädagogische Herausforderung




Märchen werden immer unbekannter. Selbst im eigenen Bekanntenkreis bemerken wir: Selbst wenn zu Hause viel vorgelesen wird, Märchen gehören nicht mehr zwangsläufig dazu. In manchen Familien streiken die Eltern. Sie halten die Geschichten für zu grausam und auch für veraltet. Immerhin stecken in Märchen noch sehr veraltete Rollenbilder. Mädchen, die schon in sehr (!) jungen Jahren auf dem Heiratsmarkt stattfinden und zu jedem dahergelaufenen Prinzen sofort ja sagen; und überhaupt sind die Frauen in den Märchen meistens die Bösen oder die Dummen. Dann der Kontrast zwischen Gut und Böse, der keinerlei Graustufen zulässt und mit einer dünnen Charakterbeschreibung der Personen einhergeht. Es gibt aber auch den Fall, dass die Kinder die Märchen ablehnen, selbst wenn die Großeltern noch so oft versuchen sie an sie heranzutragen. Die Geschichten sind zu gruselig und grausam und werden daher gerade in jungen Jahren von einigen Kindern abgelehnt. Warum das so ist, liegt auf der Hand. Schließlich wurden Märchen ursprünglich für Erwachsene geschrieben. Zwar gibt es Bemühungen die wirklich grausamen Elemente aus den Märchen zu streichen…

·      Das Tanzen in glühenden Schuhen wird am Ende der Schneewittchen-Erzählung einfach weggelassen

·      Aschenputtels Schwestern werden nicht mehr Zehen und Fersen abgeschnitten

·      Die Vergewaltigung, die im Märchen Dornröschen stattgefunden hatte, ist schon lange nicht mehr Teil der Geschichte

Aber ganz herausnehmen lassen sich die bösen Elemente des Märchens nicht, ohne die Geschichte komplett zu verfälschen.

Warum dann überhaupt noch Märchen?

Märchen bieten nicht nur einen Blick in eine verzauberte Welt in der alles möglich ist, sondern zugleich auch einen Blick in die Vergangenheit. So machen sie auch durchaus mal ein (kritisches) Gesprächsthema auf. Leider war etwa das Dasein von Kindern selbst in der jüngsten Geschichte nicht annähernd so rosig wie die Welt in der Kinder heute zumeist aufwachsen dürfen.  Märchen schaffen dazu einen Zugang, indem man sich zurecht wundert, wie die Hauptpersonen die ein oder andere Entscheidung treffen konnten.

Schön an Märchen ist auch ihre Länge. Sie stellen kurze und interessante Kurzgeschichten dar. Mit einem einzigen Märchenbuch besitzt man schon eine Vielzahl unterschiedlichster Geschichten.

Auch wenn das Verhalten der Personen in den Märchen uns teilweise befremdlich vorkommen mag: Die Märchen thematisieren grundlegende Lebensprobleme und Gefühle. Es geht um Liebe und Freundschaft, Tod und Verlust, Machtgier und Eifersucht.

Die Ereignisse im Märchen werden von den Kindern eindeutig als „phantastisch“ identifiziert. Dafür sorgen klassische Elemente wie die Eingangs- und Schlussformeln, die sehr alte Sprache und die übernatürlichen Figuren. Selbst wenn in Märchen schlimme Dinge passieren, lässt sich alles eindeutig ins Reich der Fantasie verordnen. Eine Abgrenzung zur eigenen Wirklichkeit fällt so viel leichter als bei einer realistischen Geschichte aus unserer heutigen Welt und Lebenswirklichkeit.

Ein letztes Argument für Märchen ist das damit einhergehende und erworbene Allgemeinwissen, denn auf Märchen wird ja immer wieder Bezug genommen. Märchen sind Kulturgut. Märchensprüche werden als bekannt vorausgesetzt und Vergleiche und Metaphern bedienen sich immer mal wieder in der Märchenwelt:

„Der Dornröschenschlaf“, „Der Prinz auf dem weißen Pferd“, der böse Wolf“, die böse Stiefmutter“ oder die „Goldene Gans“. Solche Anspielungen lassen sich nur verstehen, wenn die entsprechenden Märchen konsumiert wurden.

Ob einem das als Argumente reicht oder ob man dann doch lieber auf die vielen modernen Geschichten zurückgreift, die sicherlich auch vieles zu bieten haben, bleibt letztlich dann doch jedem selbst überlassen: Eltern, wie auch Lehrern.

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